Beziehungen sind kompliziert – das wird schnell klar, wenn der Partner den Müll wieder einmal nicht rausgebracht hat, man seit Wochen keinen Sex mehr hatte und plötzlich die Frage aufkommt, mit wem er eigentlich die ganze Zeit auf WhatsApp schreibt. Seit Anbeginn der Menschheit versuchen wir, die Geheimnisse von Beziehungen zu ergründen, doch die Antwort darauf bleibt oft nebulös.
In meiner Praxis erlebe/n ich/ wir viele Menschen, die den Eindruck haben, in einer kommunikativen Sackgasse zu stecken. Das Gefühl, nicht mehr weiterzukommen, nicht dazugehört zu werden oder missverstanden zu werden, ist allgegenwärtig. Oft glaubt einer zu wissen, was der andere sagen wollte – und umgekehrt. Es gibt Missverständnisse, die mit einem Mangel an Wertschätzung einhergehen. Häufig ist das verbunden mit traditionellen Rollenmustern in Beziehungen: Die Frau übernimmt nach wie vor unsichtbare Care-Arbeit, während der Mann für Karriere und Einkommen zuständig ist. Beide leben in unterschiedlichen Welten und wissen oft nicht, was der andere leistet. Dies führt nicht selten zu Neid oder dem Wunsch, selbst mehr berufliche Anerkennung zu erhalten.
Trotz aller Partnerschaft sollte jeder ein eigenständiger Mensch bleiben – mit eigenen Hobbys und sozialen Kontakten. Doch individuelle Freiheit gerät an strukturelle Grenzen. Die Arbeitsteilung in Beziehungen bleibt ein heißes Thema, genauso wie sexuelle Unterschiede. Wenn die Libido eines Partners nachlässt, während der andere mehr oder kreativeren Sex wünscht, kommt es häufig zu Spannungen. Natürlich ist es wichtig, miteinander über solche Themen zu sprechen. Doch auch hier gibt es Grenzen, vor allem wenn die Diskussionen immer wieder die gleichen sind und die Frustration wächst. An diesem Punkt kann eine dritte, neutrale Person in Form einer Paartherapie helfen, um festgefahrene Muster zu erforschen und Konsens-Lösungen zu erarbeiten.
Wie haben sich die Formen des Zusammenlebens verändert?
In den letzten Jahren hat sich einiges verändert, besonders durch Online-Dating-Plattformen wie Tinder. Diese fördern eine gewisse Schnelllebigkeit und Austauschbarkeit von Beziehungen. Viele Paare äußern mittlerweile den Wunsch, ihre Beziehung zu öffnen – oft auch auf Initiative der Frauen, die ihre sexuellen Bedürfnisse zunehmend offensiver einfordern. Unsere Gesellschaft ist insgesamt toleranter geworden, wurde zu vielfältigen neuen Partnerschafts- und Familienformen geführt.
Doch dieser Zuwachs an Freiheit bringt auch Unsicherheiten mit sich, etwa in Bezug auf das Geschlechterverhältnis oder die Stabilität von Beziehungen. Trotz aller Offenheit bleibt das heteronormative Leitbild in unserer Gesellschaft stark. Der gesellschaftliche Druck ist immer noch da, ein bestimmtes Bild von der perfekten Beziehung zu erfüllen – mit der Hochzeit, dem Haus und den zwei Kindern.
Generell beobachte ich eine starke Re-Traditionalisierung in Beziehungen. Das Auf-Knie-um-die-Hand-Anhalten, die groß inszenierte Hochzeit und dann, so bald wie möglich, das erste Kind zu bekommen: Da kommen wieder sehr viele Bilder aus dem traditionellen Ehe- und Familienleben auf. Eine dieser weit verbreiteten Idealisierung von Vorstellungen des Zusammenlebens hält man fest – auch, wenn der Alltag diesen Erwartungen längst nicht mehr entspricht. Ich glaube, es hängt mit dem Bedürfnis nach Halt, Sicherheit und Kontinuität zusammen. Dass sich Menschen gerade in politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeiten wieder mehr auf das private Glück besinnen und in der selbst gegründeten Familie eine sichere Festung suchen. Und – aufgeladen mit viel Romantik – den anderen zeigen wollen: Ich habe das Beziehungs- und Familienglück gefunden. Sobald dieses Glück aber Risse bekommt, ist das besonders schmerzlich. Und diese Risse kommen am meisten mit dem bitteren Alltag; nach dem „schönsten Tag im Leben“. Wenn sich idealisierte Vorgaben nicht verwirklichen lassen, entsteht oft ein großer Leidensdruck.
Der Druck, die Fassade der Beziehung aufrechtzuerhalten, führt oft dazu, dass Paare ihre Konflikte als individuelles Scheitern erleben und nicht den Mut haben, sich rechtzeitig Unterstützung zu holen.
Beziehungen heute: Wegwerfen oder Reparieren
Von älteren Generationen hört man häufig den Vorwurf: „Früher hat man Beziehungen repariert, heute werden sie einfach weggeschmissen, sobald es kriselt.“ Doch die Zeiten haben sich geändert. Menschen haben heute höhere Ansprüche an das Leben und möchten sich selbst verwirklichen, ohne sich unterzuordnen. Zudem gibt es kaum noch gesellschaftliche Ächtung im Fall einer Trennung.
Natürlich ist es befreiend, nicht mehr ein Leben lang in einer unglücklichen Beziehung verharren zu müssen. Aber auch in einer langfristigen Partnerschaft wird es immer wieder Krisen geben, die man durchstehen muss. Wichtig ist, dass man bei Problemen nicht sofort aufgibt, sondern lernt, Konflikte gemeinsam zu bewältigen. Anstatt nach dem Schuldigen zu suchen, sollte das Ziel sein, Verständnis füreinander zu entwickeln
Wo setzt die Paartherapie an?
In der Paartherapie wird ein Raum geschaffen, in dem beide Partner ihre Empfindungen und Gedanken ausdrücken können. Es geht darum, die Perspektive des anderen zu verstehen und festzustellen, wie bestimmte Aussagen oder Verhaltensweisen beim Gegenüber ankommen. Solche Entschlüsselungsprozesse sind ein zentraler Teil der Therapie und helfen dabei, wieder einen gemeinsamen Faden aufzunehmen
Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Paartherapie?
Viele Paare kommen schon präventiv zu mir/ uns, auch wenn sie erst seit kurzem zusammen sind. Wenn sie merken: Ja, wir verstehen uns gut, aber es gibt einige Unterschiede und damit auch Frustrationspotenzial, das wir uns genauer ansehen möchten. Auf jeden Fall ist es ratsamer, sich früher Unterstützung zu holen, anstatt lange zuzuwarten und den Ärger hinunterzuschlucken. Voraussetzung ist natürlich, dass beide auch wollen. Eine Paartherapie ist nichts Außergewöhnliches und kann sogar als regelmäßiger „Beziehungs-Checkup“ dienen, um sicherzustellen, dass der Mensch auf dem richtigen Weg bleibt. um zu verhindern, dass man sich irgendwo festfährt. Auch ältere Paare nutzen diese Möglichkeit immer öfter. Die gestiegene Lebenserwartung motiviert Menschen im Alter, an ihrer Beziehung und einem erfüllten Sexualleben zu arbeiten.
Muss ein Seitensprung das Ende der
Nein. Aber es ist wichtig, Enttäuschungen oder Kränkungen aufzuarbeiten. Dazu gehört, dass der Schmerz zu erkennen ist, der hinzugefügt wurde, und andererseits die Hintergründe der Handlung zu verstehen sind.
Es gilt zu verstehen, was in der außerehelichen Affäre gesucht wurde. Oft kann eine solche Krise auch als Chance dienen, wieder ehrlich und offen über die Bedürfnisse des Partners zu sprechen. Krisen bieten immer die Möglichkeit, als Paar zu wachsen und sich auf eine neue Ebene zu begeben.
Was steckt hinter
Sexuelle Unterschiede sind häufige Gründe für Spannungen in Beziehungen, doch sie werden selten offen angesprochen. Viele empfinden Scham oder Unsicherheit im Umgang mit ihrer Sexualität. Gedanken wie „Wenn ich es nicht initiiere, wird es nie mehr passieren“ oder „Es ist schon wieder Wochen her, ich sollte wohl mal wieder“ sind weit verbreitet. Aber Lust lässt sich nicht auf Knopfdruck hervorrufen, sie ist etwas Komplexes. Druck führt oft dazu, dass die Libido noch weiter schwindet. In der Therapie arbeiten wir daran, die Lust wieder zu entdecken und mehr Raum zur Entfaltung bekommen kann.
Fazit
Beziehungen sind komplex und stellen uns immer wieder vor Herausforderungen. Ob es nun Kommunikationsprobleme, sexuelle Unterschiede oder der schleichende Alltag sind – Konflikte gehören dazu. Doch diese Krisen müssen nicht das Ende bedeuten. Vielmehr bieten sie die Möglichkeit, gemeinsam zu wachsen und neue Ebenen des Verständnisses füreinander zu erreichen. Paartherapie kann hier wertvolle Unterstützung bieten, um Muster zu durchbrechen und wieder zueinander zu finden. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass jede Beziehung (Arbeit – das Wort verwende ich nicht so gerne) Pflege und Zuwendung erfordert und dass das Ziel nicht Perfektion, sondern ein gegenseitiges Verstehen und Wachsen ist.